Wassim Alsouki und Radka Lemmen mit dem Europass Mobilität © VHS Meppen
Dezember 2024
Der Europass Mobilitätsnachweis dient in der Regel dazu, das Lernen und Arbeiten in Europa – im Rahmen einer beruflichen Ausbildung oder eines Studiums – zu dokumentieren und die Nutzerinnen und Nutzer bei der Planung ihrer individuellen Bildungswege zu unterstützen. Dass dies auch in der Erwachsenenbildung möglich ist, zeigt das Beispiel von Wassim Alsouki, der derzeit an der Volkshochschule Meppen (VHS Meppen) seinen nachholenden Realschulabschluss erwirbt. In diesem Rahmen hat er die Chance genutzt, im Sommer 2024 an einem Auslandsaufenthalt in Lettland teilzunehmen. Die Erfahrungen, die er dabei gemacht hat, wurden im Europass Mobilität nachgewiesen.
„Die jungen Leute, mit denen wir hier arbeiten, befinden sich – vergleichbar den Azubis – in einer Form der Ausbildung“, sagt Radka Lemmen, stellvertretende Direktorin der VHS Meppen. Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den entsprechenden Kursen sei vor der Situation in ihrer Heimat geflohen, um in Deutschland neu anzufangen und sich auf den nachträglichen Erwerb des Hauptschul- oder Realschulabschlusses vorzubereiten. Dies stelle die Basis für eine spätere Bewerbung dar und ebne den Weg in den deutschen Arbeitsmarkt.
Im Rahmen der einjährigen Vorbereitungsphase haben die jungen Lernenden an der VHS Meppen die Chance, an einem internationalen Erasmus+-Projekt in Lettland teilzunehmen und dabei sowohl fachlichen Themen wie dem digitalen Wandel auf die Spur zu kommen als auch die Vielfalt Europas kennenzulernen. Möglich wird dies durch das 2021 am Zentrum für Jugendberufshilfe der VHS Meppen gestartete Projekt „MUTmacher*innen“. Im Abstand von sechs Monaten können kleine Gruppen von Lernenden aus Meppen nach Lettland reisen. Umgesetzt wird das Projekt in Kooperationen mit lettischen Partnereinrichtungen.
Radka Lemmen unterstreicht, es sei eine bewusste Entscheidung gewesen, dabei von Anfang an den Europass zu nutzen, damit die Teilnehmenden anschließend über ein Zertifikat verfügten, das die erworbenen Fähigkeiten dokumentiere. Dies sei sowohl für die Darstellung nach außen als auch für das Selbstverständnis der jungen Leute wichtig. „Es ist unheimlich motivierend, wenn sie sehen können, was sie schon erreicht haben“, bekräftigt sie und ergänzt:
Das macht unsere Teilnehmenden sehr stolz, hilft ihnen zugleich aber auch, wenn sie im Anschluss an den Schulabschluss in eine Ausbildung gehen wollen. Da schließt sich quasi der Kreis, zumal man seine Qualifikationen kontinuierlich aktualisieren kann – eine Dynamik, die gerade die Teilnehmenden der VHS-Kurse darin unterstütze, in Deutschland beruflich wie privat Fuß zu fassen.
Das kann Wassim Alsouki nur bestätigen. Der heute 24-Jährige ist vor zwei Jahren alleine aus Syrien ins Emsland geflüchtet, wo er bei seinem Onkel Unterschlupf fand. Dieser half ihm auch, die nächsten Schritte zu gehen. So hat er sehr schnell Deutsch gelernt und möchte perspektivisch an sein in Syrien bereits abgeschlossenes Studium der Agrarwissenschaften anknüpfen. Sein Ziel ist es, die deutsche Sprache professionell zu beherrschen, um nach dem Schulabschluss den Einstieg ins Berufsleben zu finden: sei es durch eine Ausbildung oder ein weiteres Studium. Aktuell läuft das Anerkennungsverfahren hinsichtlich seines syrischen Abschlusses.
Die Gelegenheit zur Teilnahme an der Fahrt nach Lettland hat ihn von Anfang an gereizt. Noch nie zuvor war er soweit im Norden gewesen, hinzu kam, dass ihm Kolleginnen und Kollegen aus den Vorläuferkursen bereits von ihrer Zeit dort erzählt hatten. Jetzt selbst vor Ort zu sein war für ihn eine ganz besondere
Erfahrung, zum einen bezüglich des Gruppenerlebnisses, zum anderen aber auch wegen der Begegnungen vor Ort. Dazu Wassim Alsouki:
Wenn man eine andere Kultur kennenlernen möchte, muss man offen sein für die Leute und die Kultur. Ich kannte noch nicht viel von Europa. Lettland war auch deshalb so spannend, weil es ganz anders ist als Deutschland. Für mich war es sehr interessant, zu sehen, wie viele Gesichter Europa hat und was dort alles möglich ist. Das hat mir selbst neue Ideen gegeben und die Lust geweckt, später vielleicht noch einmal in ein anderes europäisches Land zu gehen.“
Sprachlich jedenfalls ist er dafür bestens gerüstet, denn auch mit seinen Englischkenntnissen klappte es hervorragend, obwohl er die Sprache zuvor lange nicht mehr gesprochen hatte. Genau solche Herausforderungen motivieren ihn, beispielsweise auch, wenn es um sein fundiertes digitales Know-how geht. Auf die Frage, was er in drei Jahren machen möchte, antwortet er, dass er gerne einmal ein großes Projekt in seinem Bereich realisieren würde, vielleicht sogar in einer Kombination aus agrarwissenschaftlichen und digitalen Inhalten. Er weiß, wie wichtig es ist, sich ständig weiterzuentwickeln und hofft, dass ihn der Europass auf diesem Weg begleiten wird.
Radka Lemmen ist diesbezüglich zuversichtlich, räumt aber ein: „Prinzipiell geht es uns zunächst einmal vor allem darum, dass die jungen Leute lernen, sich in der deutschen Arbeitswelt zu bewähren, wobei der Europass schon heute eine wertvolle Hilfe ist, auch wenn er sich vorwiegend auf die Dokumentation der Auslandsmobilitäten bezieht.“ Perspektivisch wolle man das Dokument jedoch auch stärker im Unterricht einsetzen, zum Beispiel bei der Berufsorientierung. Hier kommt das im Jahr 2020 gestartete Europass-Portal ins Spiel: Als kostenlose Plattform für das Lernen und Arbeiten in Europa unterstützt es Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende, Studierende, Jobsuchende und Berufstätige mit vielen Tools bei Jobsuche, Bewerbung und Karriereplanung. Lemmen glaubt, dass dies auch im Kontext der nachholenden Schulabschlüsse möglich sei. Wichtig sei es, dabei Schritt für Schritt zu denken und zu handeln.
Dass der Europass in der Erwachsenenbildung sinnvoll eingesetzt werden kann, betont auch Anke Dreesbach vom Team Erwachsenenbildung in der Nationalen Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NA beim BIBB). Ihrer Ansicht nach sollte dies vor allem für die Zielgruppe der Lernenden erfolgen. Dreesbach wörtlich:
Bei jungen Leuten, die einen nachholenden Schulabschluss erwerben und sich in einer Berufsorientierungsphase befinden, halte ich den Einsatz des Europass für sehr zielführend, um Anerkennung zu vermitteln und den jungen Menschen eine konkrete Hilfestellung für ihren weiteren Weg zu geben.“
Europass ist ein kostenloser Service der EU für das Lernen und Arbeiten in Europa. Er hilft beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen, bei der Karriereplanung sowie der Dokumentation von Kompetenzen und dem Vergleich von Qualifikationen.
Europass besteht aus dem Europass-Portal, das u.a. Tools für Bewerbung und Jobsuche sowie zur Selbsteinschätzung von Kompetenzen bietet, aus den Europass Dokumenten Mobilitätsnachweis, Europass Zeugniserläuterungen und Diploma Supplement sowie aus den European Digital Credentials for Learning, einer digitalen Infrastruktur, mit der fälschungssichere digitale Zeugnisse ausgestellt, überprüft, gespeichert und geteilt werden können.
Text von Manfred Kasper